Ein weiteres Kind zum jetzigen Zeitpunkt? – „Das passt gar nicht"

Abtreibung ja oder nein?

18.05.2022

Frau nachdenklich
Wie soll sich Celina entscheiden? | Foto: tativophotos / shutterstock Copyright by

Eigentlich wünscht sie sich ein zweites Kind, doch zum jetzigen Zeitpunkt? Das geht nicht, das passt nicht. Also denkt eine schwangere Frau über eine Abtreibung nach. Doch dann wird aus der Herausforderung eine Chance.

Manchmal trägt der Mensch das mentale Rüstzeug im Angesicht einer unerwarteten Herausforderung bereits in sich – ist sich dessen aber nicht bewusst. Die Zeit zwischen dem Beginn der Notlage und der Erkenntnis, sie meistern zu können, kann von schwerem Zweifel, fürchterlicher Angst und erdrückender Hilflosigkeit geprägt sein. Wie wichtig dann eine gute Seele an der Seite ist, zeigt der Fall von Celina*.

"Ich fühle mich hin- und hergerissen"

Celina ist 33 Jahre jung, als sie von ihrem Arzt erfährt, schwanger zu sein. Sie ist bereits Mutter eines vierjährigen Sohnes, der viel Aufmerksamkeit einfordert. Ein weiteres Kind zum jetzigen Zeitpunkt? „Das passt gar nicht“, wie die junge Frau in einem Online-Test von Pro Femina schreibt. Ihre Gefühle fahren Achterbahn. Celina fühlt sich verunsichert, ist hin- und hergerissen und denkt deshalb über eine Abtreibung nach.

Die Situation ist auch deshalb verzwickt, weil ihr Mann beruflich viel unterwegs und wenig zu Hause ist. „Im Grunde wäre ich eher alleinerziehend mit zwei Kindern, mit meinem Job, mit Haus und Garten.“ Doch eigentlich wünschen sich die beiden ein Geschwisterchen für ihren Sohn.

„Ich fühle mich hin- und hergerissen wie ein Seil, an dessen Enden gezogen wird“, beschreibt die Mutter ihre Lage. Zwar hat sie bereits mit Freunden und Bekannten über die unerwartete Schwangerschaft gesprochen. Doch die beste Hilfe in der aktuellen Situation wäre eine neutrale Meinung, gibt Celina im Online-Test an. 

Bedingungslos an Celinas Seite

Dies ist das Stichwort für Veronika, Beraterin bei Pro Femina. Aus ihrer langjährigen Erfahrung weiß sie, worauf es in einer solchen Situation ankommt: Frauen im Schwangerschaftskonflikt wünschen sich jemanden, der zuhört, nicht urteilt, der sich zurücknimmt, keine schlauen Sprüche bringt. Jemanden, gegenüber dem sie all ihre Emotionen ungeschminkt herauslassen können und sich verstanden fühlen. Auf diese Weise ist eine vertrauensvolle Beratung möglich. Im Mittelpunkt steht stets die Schwangere. Veronika richtet sich also mit einer einfühlsamen E-Mail an Celina:

„Liebe Celina, es ist verständlich, dass Sie eine eventuelle Familienerweiterung gerne geplant und einfach mehr im Griff gehabt hätten, ohne sich so überrumpelt fühlen zu müssen.

So oft mussten Sie zuletzt als Frau zurückstecken und vieles schultern. Und nun hat das Leben Ihnen mit dieser völlig überraschenden Schwangerschaft zunächst alle Gedanken und Vorstellungen ziemlich durcheinandergewirbelt und es kommen so viele aufreibende Fragen auf. 

Wir Menschen fühlen uns vermutlich immer eher dann sicher, wenn wir mitplanen können und etwas Überraschendes kann dann zunächst sehr verunsichern und Ängste auslösen.“ 

Veronika wägt die Optionen ab und schöpft aus ihrem erfahrungsreichen Fundus aus hunderten Beratungsfällen:

„Ich kann gut verstehen, dass Sie nun durch den Entscheidungsdruck innerlich sehr verunsichert sind. Der Gedanke an eine mögliche Abtreibung kommt dabei immer einmal wieder auf ...

Ich finde es sehr verantwortungsbewusst, dass Sie jetzt innehalten, sich Zeit nehmen und sich auch mit Ihren Sorgen an unsere Beratung wenden. 

Wir bekommen immer wieder die Rückmeldung, dass es sich als Trugschluss herausstellt, mit einer übereilten Abtreibung eine Druckentlastung zu erreichen. Oftmals geht dieser Schritt den Frauen langfristig sehr nahe und kann sie deutlich prägen.“

Die Beraterin ermutigt Celina, mehr über ihre persönlichen Lebensumstände zu erzählen. Mit einer außenstehenden Person kann es oftmals hilfreicher sein, die Gedanken zu ordnen und zu überlegen, welche Wege es fernab einer Abtreibung geben könnte.

Schweigen. Vier Tage vergehen. Celina meldet sich nicht. Weil sich Veronika Sorgen um Celina macht, entschließt sie sich, noch einmal nachzuhaken. Wie geht es der Schwangeren? Welche Gedanken gehen in dieser für sie aufreibenden Zeit durch ihren Kopf? „Manchmal“, schreibt Veronika, „hilft ja alleine das Aufschreiben oder Aussprechen von Gedanken und Gefühlen schon etwas weiter“.

Was Celina Sorgen macht

Drei weitere Tage vergehen. Veronika hofft, aber sie rechnet nicht mehr mit einer Antwort. Kurz vor Mitternacht trifft dann doch eine ausführliche E-Mail von Celina ein. Sie erzählt, wie schön ihre erste Schwangerschaft gewesen sei, dass sie sich gut vorstellen könnte, ihrem Sohn ein Geschwisterchen an die Seite zu geben. Dass beide, sie und ihr Mann, sich ein weiteres Kind wünschen.

Doch dem gegenüber steht eine Reihe von Unwägbarkeiten und ernsthaften Bedenken: Freunde und Verwandte, die im Falle eines zweiten Kindes ab und zu mal aushelfen könnten, gibt es nicht. Entweder wohnen sie zu weit weg oder haben selbst mit den eigenen Kindern genug zu tun.

In Celinas Leben gibt es schon jetzt kaum einmal Auszeiten. Ihr Mann kann sie im Haushalt und bei der Kindererziehung aufgrund seiner Arbeit nicht ausreichend unterstützen, dennoch hat er eine große Erwartungshaltung, beschreibt Celina.

Veronika nimmt sich Zeit, sich mit Celinas Situation intensiv zu befassen. Dann schreibt sie ihr zurück:

„Liebe Celina, ich kann Ihnen nachfühlen, dass dieses Hin und Her der Gedanken und Gefühle sehr aufreibend sein muss. Eine solche innere Ambivalenz wird oftmals als sehr quälend erlebt.

Andererseits mache ich immer wieder die Erfahrung, dass eine solche Ambivalenz auch eine sehr kluge Einrichtung der Seele ist: Sie will uns einen Hinweis darauf geben, dass die Zeit für eine so wichtige und große Entscheidung noch nicht ganz reif ist und man nichts überstürzen sollte.“

Veronika sieht die schwierige Lage, die aus Mangel an helfenden Händen resultiert. Also bietet sie Celina an, sich über alternative Unterstützungsmöglichkeiten auszutauschen. „Wie würde es sich anfühlen, wenn eine liebevolle Frau gelegentlich einen langen Kinderwagen-Spaziergang mit dem Baby macht oder bei Ihnen zu Hause auch einmal beide betreut, so dass Sie als Frau ein wenig Luft im Alltag hätten?“

Erneut vergehen drei Tage. Wieder zu später Stunde erreicht Veronika eine Nachricht von Celina. Doch diesmal ist der Ton ein anderer. Da ihr Mann arbeitsbedingt verreist und sie krankheitsbedingt zu Hause war, hatte Celina Zeit zum Nachdenken. Ja, der Vierjährige verlangt nach viel Aufmerksamkeit. Ja, auch der Job ist stressig. Ja, der Ehemann wird auch weiterhin nicht viel beitragen können.

Jeder hat sein Paket zu tragen und es ist wichtig, nach vorne zu sehen. Ich sehe all das Negative als Chance, es besser zu machen, vermutlich erwarte ich deshalb auch in gewisser Form sehr viel von mir selbst.“ Celina ist motiviert, optimistisch, sieht das vermeintliche Problem Schwangerschaft als schöne Herausforderung. Sie spricht nicht von ihren zwei Kindern, sondern von zwei Wundern.

"Wir brauchen Menschen wie Sie"

Celina hat dank der Hilfe Veronikas erkannt, dass sie für das zweite Kind bereit ist. „Ich dachte darüber nach, wie ich die Familiensituation bei anderen sehe, sowohl im Freundeskreis als auch bei all den Menschen, denen man so im Alltag oder durch die Arbeit begegnet“, schildert die junge Frau. „Dabei stellte ich immer wieder fest, wie gut bei mir alles läuft und was ich alles schaffe.“

Celina vergleicht ihre Situation mit anderen Familien, womit andere Mütter überfordert sind, wie viel diese arbeiten und so weiter. „Dabei musste ich schmunzeln und ich fragte mich, warum ich mir überhaupt solche Gedanken mache.“ Celina erkennt:

„Mein Leben, wie es jetzt ist, würde wohl keine der Mütter, die ich bisher traf, schaffen und hey: Ich mache das seit über vier Jahren ... Manchmal besser und manchmal schlechter, aber immer so gut wie eben möglich ... Da dachte ich, wenn ich das hinbekomme, was soll’s, dann schaffe ich es wohl auch mit etwas noch Unmöglicherem – und zwar mit zwei kleinen Wundern.“

An Celinas Situation hat sich seit dem Zeitpunkt, an dem sie erfuhr, schwanger zu sein, bis zur Entscheidung, sich auf Kind Nummer 2 zu freuen, nichts geändert. Weder haben sie oder ihr Mann weniger gearbeitet, noch zeichnete sich Hilfe aus dem Verwandten- oder Bekanntenkreis ab. Was ihr half, beschrieb die Schwangere am Ende ihrer E-Mail selbst:

„Ich möchte noch einmal Danke sagen, einfach fürs ,Zuhören’. Es tat gut, mit jemandem zu schreiben, der meine Gedanken nicht verurteilt und sie nicht als Schwäche sieht. Vielen Dank dafür … Ich wünsche Ihnen alles Gute und machen Sie weiter! Wir brauchen Menschen wie Sie!“

 
*Alle persönlichen Daten und Namen wurden zum Schutz der Schwangeren und ihrer Familie anonymisiert.

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