Sinkende Geburtenrate: Keiner spricht aus, woran es wirklich liegt
Kommentar von Matthias Schäppi, Geschäftsführer 1000plus Schweiz

Kürzlich erschien in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) ein bemerkenswerter Artikel zur sinkenden Geburtenrate – eine durchaus lebensnahe Ursachen- und Spurensuche. NZZ-Redaktorin Andrea Fopp bringt darin vieles auf den Punkt: Ja, Kinder fordern uns heraus. Sie stören unsere Pläne, unsere Freiheit, unsere Ruhe. Und ja, wir leben in einer Zeit, die Störungen immer schwerer erträgt. Die Redaktorin endet mit einem Aufruf zur Gelassenheit. Das ist sympathisch – und leider doch zu wenig. Denn Gelassenheit braucht Geborgenheit. Und Geborgenheit entsteht dort, wo das Leben willkommen ist. Nicht als Störung, sondern als Geschenk. Nicht irgendwann – sondern von Anfang an.
In ihrer Analyse fehlt etwas Entscheidendes, und zwar weil unsere Gesellschaft es konsequent tabuisiert: Die Geburtenrate sinkt nicht nur, weil Kinder «anstrengend» sind – sondern auch, weil wir verlernt haben, mit der ganz normalen Unplanbarkeit des Lebens umzugehen. Weil wir ungeborene Kinder nicht mehr einfach willkommen heißen. Weil wir Schwangere in Not allein lassen.
12’045 Abtreibungen im Jahr 2023 – das ist kein individuelles «doch-lieber-kein-Kind», sondern ein gesellschaftliches Versagen. Es ist ein massenhaftes im Stich lassen derer, die ganz konkret zur Zukunft unseres Landes beitragen könnten. Und natürlich zahlt auch dieses Versagen Jahr für Jahr auf die immer weiter sinkenden Geburtenzahlen ein! Seit Einführung der Fristenlösung im Jahr 2002 sind über 250’000 Kinder in der Schweiz nicht zur Welt gekommen. Wir werden keine wirksamen Lösungen für die besorgniserregende demografische Entwicklung finden können, wenn wir nicht endlich anfangen, auch diesen Zusammenhang in den Blick nehmen.
Denn Frauen treiben nicht ab, weil sie grundsätzlich keine Kinder wollen. Schwangerschaftskonflikte entstehen selten aus Ablehnung. Sie entstehen aus Überforderung, Partnerschaftsproblemen, biografischen Krisen oder schlichter Einsamkeit. Unabhängige Beratungsstellen wissen das seit Jahren – doch kaum jemand hört ihnen zu. Viele Frauen beschreiben die Entscheidung gegen ihr ungeborenes Kind im Nachhinein als einen Schritt, den sie sich nie gewünscht haben.
Wie zum Beispiel Sonja, die nach ihrer Abtreibung in der 11. Schwangerschaftswoche folgende Nachricht an Profemina schrieb:
„Ich habe vor drei Tagen abgetrieben. Und komme damit jetzt gar nicht mehr klar. Ich fühle mich als eine, die nicht für ihr Kind gekämpft hat. Es ist noch alles sehr frisch, aber ich fühle mich komplett alleine gelassen. Mein Mann sagt, wir schaffen es zusammen und ich soll positiv denken, wir haben ja zwei tolle Kinder. Aber es fällt mir schwer.“
Es genügt also nicht, über Elterngeld, Vaterschaftsurlaub oder Kita-Gebühren zu diskutieren, während gleichzeitig tausende Frauen in der schwersten Entscheidung ihres Lebens ohne echte Alternativen zur Abtreibung zurückbleiben. Was fehlt, ist nicht der nächste politische Anreiz, sondern eine Haltung. Eine Kultur, die Schwangeren in der Krise signalisiert: «Du bist nicht allein. Du darfst Ja sagen.» Eine Gesellschaft, die das Leben nicht nach Planbarkeit bewertet, sondern nach Würde. Die nicht nur das perfekte, das erwünschte Leben schützt – sondern jedes. Bedingungslos. Und von Anfang an.
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